Die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen unserer Zeit stellen Familien, Kinder und Jugendliche vor immense Herausforderungen. Wirtschaftliche Unsicherheiten, Bildungsungleichheiten, Migration, Digitalisierung, besonders in urbanen Regionen wie Dortmund und dem Ruhrgebiet. Hinzu kommen die Auswirkungen globaler Krisen wie Pandemie, Kriege und Klimawandel. Zukunftsängste, Unsicherheiten, Identitätskonflikte sind die Folge. Besonders alarmierend ist der deutliche Anstieg psychischer Belastungen: Depressionen, Angststörungen, Suchtverhalten und eine wachsende Gewaltbereitschaft spiegeln die innere Not vieler junger Menschen wider.
Genau hier setzen die Hilfen zur Erziehung an, die Familien direkt und frühzeitig unterstützen sollen. Doch die aktuellen Angebotsstrukturen, wie Sozialpädagogische Familienhilfen, Wohngruppen und weitere individuelle Hilfen, stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Die Problemlagen werden komplexer, Lebensrealitäten vielfältiger. Immer mehr junge Menschen benötigen passgenaue, individuell zugeschnittene Hilfen. Doch genau daran fehlt es: Die bestehenden Angebote sind häufig zu starr, um den sehr unterschiedlichen Bedarfen gerecht zu werden. Zu oft scheitert gute Hilfe an mangelnder Vernetzung und Bürokratie.
Wenn junge Menschen dann als „Systemsprenger“ bezeichnet werden, zeigt das in Wahrheit: Das System passt nicht zu ihnen, nicht umgekehrt. Es ist ein Symptom für das strukturelle Versagen eines Hilfesystems, das zu wenig flexibel, zu wenig vielfältig und zu wenig bedarfsgerecht ausgestaltet ist.
Wir brauchen mehr passgenaue Angebote, mehr Plätze, sowohl in ambulanten als auch stationären Hilfen und vor allem: mehr Handlungsspielräume für Fachkräfte, um gemeinsam mit den Betroffenen individuelle Lösungen zu entwickeln. Das System muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, nicht umgekehrt. Ein Schlüssel dafür ist echte Partizipation. Kinder, Jugendliche und ihre Familien müssen konsequent beteiligt werden. Sie wollen mitreden, wenn es um ihre Belange geht, aber dafür brauchen sie altersgerechte Informationen, Vertrauen und Mitbestimmung.
Hinzu kommt ein massiver Fachkräftemangel in der Jugendhilfe, auch in NRW. Qualifizierte Fachkräfte fehlen, Studien- und Ausbildungsplätze in jeglicher Form reichen nicht aus. Die Kolleginnen und Kollegen, die da sind, sind stark belastet: Hohe Fallzahlen, lange Wartezeiten, weniger Zeit für Beziehungsarbeit. Gleichzeitig steigt der bürokratische Aufwand – Zeit, die in der direkten Arbeit mit Familien verloren geht.
Auch der angespannte Wohnungsmarkt verschärft die Lage. In Städten wie Dortmund fehlt es nicht nur an bezahlbarem Wohnraum für Familien, sondern auch an geeigneten Flächen für neue Angebote. Nutzungsänderungen und Genehmigungsverfahren dauern oft zu lang, dringende Hilfe wird dadurch blockiert.
Erziehungshilfen dürfen nicht als „letzter Ausweg“ gelten, sie sind eine wichtige Unterstützung für Familien, Kinder und Jugendliche. Es ist höchste Zeit, die strukturellen Barrieren abzubauen und ein Hilfesystem zu schaffen, das den vielfältigen Lebensrealitäten in NRW gerecht wird. Damit junge Menschen ihre Zukunft nicht nur bewältigen, sondern aktiv gestalten können.
Mehr zur Woche der Erziehungshilfen, ins Leben gerufen durch die Freie Wohlfahrtspflege NRW, erfahren Sie hier.